Über das Aufschieben
Das Aufschieben unliebsamer (und anderer) Aufgaben gehört zum Standardreportoir jedes Menschen. Denn es ist ein Schutzmechanismus – und kein Ausdruck von Faulheit oder fehlender Begabung.
Wenn wir das Aufschieben als Symptom auffassen, können wir uns denken, dass die Lösung von Aufschiebeproblemen nur dann funktionieren kann, wenn wir die Ursachen erkennen und dort auch zur Behebung ansetzen.
Schauen wir uns mehrere Beispiele an und blicken hinter die Fassade:
Steuererklärung
Viele von uns schieben diese Aufgabe gerne so lange vor uns her, bis es gar nicht mehr anders geht (oder wir lassen es, wenn wir die Wahl haben). Wieso ist das so?
Die einfache Erklärung wäre wohl zu behaupten, dass das einfach eine zu trockene Tätigkeit ist, die uns schlicht keinen Spaß macht. Aber ich glaube, dass das etwas kurz gedacht ist.
Könnte es nicht auch sein, dass wir uns im Zuge der Steuererklärung mit unserem Ausgabeverhalten beschäftigen müssen, mit dem wir nicht zufrieden sind? Dass uns mit jeder Gehaltsabrechnung, die wir durchsehen, klar wird, dass wir einem sozialen Sicherungssystem unterworfen sind, dem wir ohne Widerspruchsmöglichkeit ausgeliefert sind? Fühlen wir uns unterbezahlt und sind immer unzufrieden damit? Glauben wir, dass wir für eine geringe Erstattung von wenigen Euro keine 3 Stunden Arbeit investieren sollten?
Haushaltstätigkeiten
Die werden wohl auch gerne geschoben bis zum allerletzten Termin, beispielsweise wenn Besuch der Schwiegereltern droht ansteht.
Die offizielle Begründung dürfte wohl sein, dass die Zeit, die wir mit dem Aufräumen und Putzen der Wohnung verbringen, viel sinnvoller genutzt werden kann. Beispielsweise fürs Fernsehen…
Aber auch hier könnten wir durchaus auch andere Vermutungen anstellen. Ist es vielleicht möglich, dass wir uns (als Mann) in unserer Rolle als Mann, obwohl wir immer so emanzipiert auftreten, nicht „angemessen“ eingesetzt fühlen? Oder fühlen wir uns (als Frau) immer wieder daran erinnert, was für einen faulen Sack wir als Partner haben, dem wir alles hinterher räumen müssen? Fallen uns beim Aufräumen Dinge in die Hand, deren Verwendungszweck uns immer noch nicht klar ist – oder die schon so lange auf eine Reperatur warten, dass wir sie mittlerweile an einen Antiquitätenhändler verkaufen könnten? Sehen wir die vielen Baustellen, zu denen wir uns irgendwann einmal verpflichtet haben – und die wir sehr erfolgreich aus unserem Bewusstsein verdrängen, in dem wir beschlossen haben, diese zu ignorieren?
Projektarbeit
Sie lassen Tätigkeiten gerne so lange liegen, bis Sie unter großen Zeitdruck geraten. Sie „hassen“ es Berichte zu erstellen und halten Powerpoint für das Böse schlechthin.
Eine Ursache könnte sein, dass Sie bei einer umgehenden Erledigung immer mehr Arbeit aufgehalst bekommen – Sie haben schlicht Angst davor, dass Sie irgendwann dem wachsenden Druck nicht mehr standhalten können. Sie schieben die Erledigung so lange wie möglich vor sich her, um „wie alle anderen“ völlig überfordert auf den letzten Drücker das Ergebnis zu produzieren. Dass Sie dabei sowohl Ihre Karrierechancen als auch Ihre Selbstachtung sabotieren, ist Ihnen möglicherweise zwar klar, ist Ihnen aber nicht wichtig genug.
Hochbegabung
Ihnen fiel es immer leicht gewisse Dinge umzusetzen und Sie sind dadurch in der Peer-Group teilweise unangenehm aufgefallen. Sie wurden für einen Streber gehalten und… haben dann begonnen sich anzupassen, in dem Sie angefangen haben, diese Dinge so lange aufzuschieben, bis es den Anschein hatte, dass Sie dieselben Schwierigkeiten wie alle haben.
Das ist mit Sicherheit eine seltene Ursache – aber denken Sie mal darüber nach, ob das nicht durchaus ein Grund sein kann. Ist es Ihnen vielleicht unangenehm, wenn Sie „so schnell“ sind? Finden es Kollegen und Freunde unheimlich und geraten Sie in soziale Isolation? Hat Ihr Aufschiebeverhalten zu einer von außen betrachten besseren Beziehung mit Ihrem Umfeld gesorgt?
Wenn Sie das bei Ihnen feststellen, werden Sie vermutlich auch eine große innere Unzufriedenheit fühlen: eigentlich wissen Sie, dass Sie das viel schneller und besser und stressfreier „hinbekommen“ würden und Sie leiden unter ständiger Langeweile und Selbstzweifeln.
Aufschieben als Schutz-System
Wie Sie gesehen haben ist das Aufschieben oft ein Schutz-System, dass sich stellvertretend für die eigentliche Ursache äußert. Wenn Sie nicht aufschieben würden, müssten Sie sich mit den Ursachen befassen – und das ist meistens mehr Aufwand als eine „unliebsame“ Aktivität zu verschieben.
Selbstversuch
Auch wenn Sie sich vielleicht nicht in den Beispielen wiederfinden – versuchen Sie doch einmal bei Tätigkeiten, die Sie immer und immer wieder vor sich herschieben, die Perspektive zu wechseln. Tun Sie so als ob Sie jemanden anderen dabei beraten, wo die Ursachen eines Problems liegen könnten. Seien Sie einfach ehrlich und spekulieren Sie wild herum. So kommen Sie vielleicht eher auf die eigentliche Ursache des Aufschiebens – und können dann auch entsprechend etwas dagegen tun. Gegen das Aufschieben an sich können Sie zwar mit manchen Hilfsmitteln gelegentlich etwas tun, aber wenn Sie die Probleme „dahinter“ lösen, brauchen Sie sich über das Aufschieben an sich keine Gedanken mehr machen.
Ein Hinweis dazu: Sie können und sollten dabei wirklich ehrlich zu sich selbst sein. Niemand anderes wird Ihre persönlichen Gründe erfahren und Sie müssen sich niemanden gegenüber rechtfertigen. Wenn Sie sich hier „in die eigene Tasche lügen“, belügen Sie nur sich selbst.
Morgen geht es weiter
Wenn Sie das gemacht haben, interessiert Sie bestimmt auch der Artikel von morgen… da wird es um Tricks gehen, wie Sie diese Erkenntnisse nutzen, um Ihr Aufschieben in den Griff zu bekommen.
Update 8.12.
Auf Blatternet.ch gibt es einen Artikel, der in dieselbe Richtung geht. Sehr gut zu lesen!
Schöner und treffender Artikel, vielen Dank!
Schön, dass er dir gefällt!
Ein guter Artikel!
Danke auch für den Link auf meine Seite. Die Seite heisst allerdings blatternet.ch (nicht blätternet.ch). blätternet.ch wäre zwar auch originell, aber der Name leitet sich von meinem Nachnamen ab. Und „leider“ heisst ich nur „Blatter“ (ohne Umlaut). 🙂
Sorry… 😉
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