Die Falschherum-Anstellerin
Heute morgen in der Kantine am Kaffeeautomaten. Ich stelle mich auf der linken Seite an, da wo die Tassen für die Benutzung stehen. Vor mir ist jemand, der gerade Heißwasser abfüllt.
Und dann stellt sich von der falschen Seite eine Kollegin an. In diesem Moment merke ich, wie mein Stresspegel steigt.
Was passiert denn da?
Als mir das vorhin passiert, habe ich zufällig gerade einen ruhigen Moment gehabt und habe in mich hineingehört. Was war eigentlich gerade passiert?
- Die Kollegin hält sich nicht an die (Anstell-)Regeln, also gehe ich davon aus, dass sie sich eventuell vor mich drängeln wird.
- Der Kollege mit dem Heißwasser vor mir braucht ziemlich lange, mit jedem Moment der vergeht steigt mein Stressempfinden.
Zusammengefasst kann ich wohl behaupten, dass ich Stress empfunden habe in einer Situation, die noch völlig unklar geblieben ist:
- Es ist nur eines von vielen Szenarien, dass sich die Kollegin vordrängt. Vielleicht steht sie einfach nur da, weil es sich für sie gerade so ergeben hat. Vielleicht weiß sie genau, dass sie nach mir an der Reihe ist.
- Noch dazu wäre der „Zeitverlust“ überhaupt kein großes Problem, immerhin stand ich weder kurz vor einem Termin noch käme es auf 2min mehr oder weniger an.
Stressreaktion verhindern
Für mich war es vorhin zu spät, um eine Gegenstrategie zu entwickeln. Ich empfand den Stress und er steigerte sich. Ich habe sogar gemerkt, wie ich innerlich unfreundlich wurde und vermutlich auch sehr angestrengt aussah. Mich hat die Situation zugegebenermaßen völlig irrational total genervt. Und die Kollegin gleich mit (die ich übrigens nicht mal gekannt habe).
Ich hätte vorhin sofort reagieren sollen. Als ich gemerkt habe, dass mich das Verhalten der Kollegin stört, hätte ich sie doch beispielsweise nett begrüßen und vielleicht etwas Smalltalk führen können. Auf diese Weise hätte ich mich von meinem Stressempfinden abgelenkt und womöglich sogar Sympathien entwickeln. Aus einem Stressfaktor wird ein Sympathieträger – das wäre doch wirklich Klasse.
Oder aber ich hätte sie einfach vorlassen können. Das mag beim ersten Lesen sehr merkwürdig klingen: Wieso sollte ich auf mein „Recht“ verzichten?
Das hat einen ganz einfachen Hintergrund: Ich könnte durch die Investition weniger Minuten (viel länger hätte sie nicht gebraucht einen Kaffee zu ziehen) erhebliches Stressempfinden einsparen können. Das gilt in vergleichbaren Situationen genau so:
- Es kann vorkommen, dass ich beim Autofahren jemanden die Vorfahrt gebe, die er/sie sich sowieso gerade (verbotenerweise) nehmen wollte. Wieso hier ein unnötiges Risiko eingehen, Erziehungsversuchen gehören nicht auf die Straße.
- Oder ich lasse an der Kasse die Mutter/den Vater mit nervendem Kind vor, damit ich den für mich negativ empfundenen Lärmpegel nicht länger als nötig erleben muss.
- Ich übernehme Arbeiten, die eigentlich jemand anderes tun sollte, nur, damit diese Sachen endlich erledigt sind. Spart mir das Aufregen bzw. den Missmut.
Sie möchten vielleicht einwenden, dass ich damit ja immer auf der Verliererseite stehen würde. Aber dem ist ganz und gar nicht so. Zum einen spare ich mir mit gelegentlich defensivem Verhalten erheblichen Ärger und Stress, der mich dann wiederum von meinen eigenen Tätigkeiten ablenken würde. Zum anderen stehe ich nicht grundsätzlich zurück, sondern nur in Situationen, die objektiv betrachtet sowieso praktisch nicht relevant sind: 2 Minuten länger am Kaffeeautomaten stehen ist objektiv betrachtet eine winzige Investition im Vergleich zu 10 Minuten oder mehr empfundenen Ärgers.
Ich gehe sogar noch ein Stück weiter. Nicht nur spart man sich Stress und Ärger womöglich über viele Stunden hinweg. Je nach gewählter Vorgehensweise bekommt man für seine besonnene Reaktion sogar noch positives Feedback (von anderen und/oder von sich selbst). Und dieses positive Feedback hebt die eigene Stimmung, feuert die eigene Produktivität an und generiert allgemein einfach mehr Kraft für das eigene Leben.
Wie erkennt man Situationen, in denen man anders reagieren sollte/kann?
Ich denke diese Situationen kann man nur dann anders angehen und eine alternative Vorgehensweise wählen, wenn man die Erfahrung bereits gemacht hat, wie es im nicht idealen Fall laufen kann.
Das bedeutet, dass Sie sich nicht darüber ärgern müssen, dass Sie wegen einer Lappalie großen Ärger oder Stress empfunden haben. Versuchen Sie mit ein wenig zeitlichem Abstand die Situation anders zu beurteilen und eine alternative Strategie zu entwickeln. Bei der nächsten vergleichbaren Situation wenden Sie dann diese Alternative an und erleben Sie, wie es auch mit weniger negativer Reaktion gut funktioniert.