Simplify your phone – John’s Phone
Ich bin vor ein paar Tagen darüber gestolpert. Und war so geplättet, dass ich es sofort bestellt habe und natürlich seitdem teste.
Das John’s Phone. Ein Mobiltelefon, dass ausschließlich eines kann: Telefonieren.
Smartphone-Mania
Wer die letzten Jahre nicht gerade im tiefen Urwald Kanadas verbracht hat, wird mitbekommen haben, dass Mensch von Welt heutzutage einen Minicomputer in der Hosentasche spazieren trägt. Dieser Minicomputer kann einfach alles:
- Alle paar Minuten E-Mails abrufen,
- nonstop die neuesten Tweets anzeigen,
- für Preisvergleiche unterwegs genutzt werden,
- hunderte Musikstücke abspielen,
- den neuesten Kinofilm wiedergeben…
- und so ganz nebenher auch noch telefonieren.
Deshalb heißt dieses Teil auch Smartphone und nicht PockeptPC.
Informationsüberflutung
Aber sind wir mal ehrlich, viele der Funktionen führt eigentlich nicht zu einer verbesserten Organisation oder zu einem besseren leben. Sondern öffnet Störfaktoren Tür und Tor:
- Menschen, die uns eine Mail schreiben, haben sich daran gewöhnt, dass wir die Mails auch im Urlaub abrufen und beantworten.
- Wenn wir 30 Minuten lang nicht nach aktuellen Tweets geschaut haben, werden wir schon von 50 neuen Nachrichten erschlagen.
- Der Preisvergleich ergibt, dass wir umsonst 2 Liter Benzin verfahren haben, wir hätten doch in die andere Stadt fahren sollen. Wir sind unzufrieden.
Für gut organisierte Menschen kann das alles super funktionieren. Aber für alle anderen unter uns oder für Menschen, die solchen Störungen schnell nachgeben, wäre es manchmal einfach gesünder, wir würden darauf verzichten. Wir überleben es, versprochen, wenn wir nur einmal am Tag E-Mails abrufen (oder von mir aus 2 oder 3 Mal). Auch kommen wir damit klar, wenn wir mal 5 Minuten keine akustische Beschallung in die Ohren drücken. Auch ohne Wettervorhersage von heute Nachmittag kommen wir klar – zumal diese Vorhersagen eh ein Glückspiel sind.
Wir leiden unter Informationsüberflutung, denn diese gewaltige Informationsmenge können wir nicht mehr verarbeiten. Wir müssen ständig Entscheidungen treffen, wohin wir unsere Aufmerksamkeit richten. Selbst wenn wir glauben wir würden uns gerade auf eine Sache konzentrieren (bspw. diesen Artikel hier lesen), sind wir vermutlich zu 10% schon darauf vorbereitet gleich einem Tonsignal des Telefons nachzugeben („es könnte eine wichtige Nachricht sein“).
Symptome
Kennen Sie auch die Menschen, die, während man mit ihnen persönlich spricht, einfach ans Telefon gehen, wenn es klingelt? Ganz so als ob das Telefonklingeln immer höhere Priorität hat? Menschen, die es nicht aushalten, wenn sie einfach mal nicht rangehen sollen?
Oder haben Sie bei sich selbst schon große Unruhe festgestellt, wenn Sie in den Urlaub fliegen und dort vor Ort wegen der teuren Roaming-Preise keine Netzverbindung mehr haben (geben Sie es zu, Sie schauen heimlich nach Internetcafes als Alternative, oder haben bereits die Preise der Web-Tickets Ihres Mobilfunkanbieters auswendig gelernt)? Wie geht es Ihnen, wenn Sie ein paar Stunden mit Freunden zusammensitzen? Schauen Sie auch immer wieder reflexartig auf das Display des Smartphones – oder stellen das bei anderen fest?
Ich habe schon sehr häufig merkwürdige Dinge bei anderen beobachtet, die mir Sorge bereiten:
- Das Smartphone liegt vor Ihnen auf dem Tisch und alle 2min wird kurz nachgesehen, ob eine SMS gekommen ist.
- In einer Gruppe von Geschäftsleuten piepst es. Alle packen sich reflexartig an die Brusttache und nehmen Ihre Telefone aus. Alle außer einem schauen dann enttäuscht.
- Genau dasselbe Spiel passiert in der Freizeit.
- Im Flugzeug werden noch bevor die Gurte gelöst werden die Telefone angeschaltet. Manche beginnen sogar unverschämterweise sofort mit dem Telefonieren – bevor überhaupt die Maschine verlassen werden kann.
- Panikattacken treten auf, wenn der Ladestand des Smartphones unter 20% sinkt und die nächste Ladegelegenheit noch stundenlang auf sich warten lassen wird. Manche packen nach einer solchen Attacke ein Ladegerät in die Tasche…
Therapie
Das John’s Phone ist im Prinzip wirklich nichts anderes als ein Telefon. Es hat noch nicht mal ein Adressbuch – oder jedenfalls keines im Telefon selbst. Sondern ein gebundenes Papierbüchlein, das auf der Telefonrückseite eingelegt werden kann. Ja ein Stift ist auch dabei.
SMS-Schreiben, im Internet surfen, Wettervorhersage prüfen – das alles kann das John’s Phone nicht. Und wird es auch nie können, weil es bewusst so angelegt wurde, dass es keinerlei Smartphone-Funktionen bietet.
Das Telefon hat ein kleines Display am oberen Rand, wo eingehende Nummern gezeigt werden. Sie können also immer noch eine bewusste Anrufer-Selektion vornehmen, wenn Sie das überhaupt je getan haben. Auch kann der (einzige!) Klingelton lautlos gestellt werden. Vibrationsalarm ist an Bord – und kann nicht abgeschaltet werden.
John’s Phone hat eine Standby-Zeit von 3 Wochen und mehr, selbst mit langen Gesprächen zwischendurch reden wir hier von Standby-Zeiten im Bereich mehrerer Tage. Erinnern Sie sich noch daran, als das für alle Telefone galt? Ich kaum noch… mein aktuelles Smartphone kam gerade so über einen Arbeitstag.
Riesige Nummerntasten, eindeutige Symbole und ein Design aus dem Kindergarten – das John’s Phone ist in keiner Weise irgendwie „hip“ oder „cool“. Es ist understatement pur – echte Bescheidenheit, wirkliches Reduzieren auf das absolut Wesentliche.
In den ersten Stunden mit dem John’s Phone werden Sie feststellen, dass etwas Merkwürdiges passiert. Aus der anfänglichen Unruhe wird langsam aber sicher ein zenähnlicher Zustand. Sie genießen quasi, dass Sie absolut gar nichts mit dem Kasten anfangen können – außer zu telefonieren. Sie hören auf, alle 10min aufs Telefon zu schauen, Sie konzentrieren sich auf die anliegende Arbeit.
Es tritt eine große innere Entspannung auf.
Sie meinen ich übertreibe und in Ihrem Fall wäre das ja etwas anderes, Sie können mit der Informationsflut umgehen? Ja das mag schon so sein, aber probieren Sie es doch einfach mal aus. Das John’s Phone kostet knapp 70 EUR und ist damit durchaus erschwinglich.
Ich jedenfalls nehme das Telefon jetzt immer wieder mal als Ersatz für mein normales Smartphone. Und es tut richtig gut.
Ja, das ist toll.
Hab ich meiner Mutter gekauft, die vor Handys aus Prinzip Angst hat, weil das ja viel zu kompliziert und zu viel Technik ist ihrer Meinung nach.
Ich konnte ihr erfolgreich vermitteln, dass das John’s ja gar kein Handy ist, sondern ein schnurloses Telefon mit besonders weiter Reichweite 😉
Und siehe da, sie benutzt es. 😉
Ein toller Beitrag, ich wusste gar nicht, dass es in dieser hippen Gesellschaft noch solche „altertümlichen“ Geräte gibt.
Ich selber habs Gott sei Dank geschafft, dieser Informationsflut unterwegs zu entgehen. Ich habe zwar ein Handy, aber eigentlich nur, damit ich jemanden anrufen kann, wenn es denn ein Notfall ist.
Ich glaube im Moment liegt mein Handy zwangsabgeschaltet, da Akku leer, in meiner Tasche und wartet auf seinen Einsatz.
Ich beobachte unterwegs immer wieder Leute, die wirklich ständig mit ihrem Handy interagieren. Heute beim Arzt hatte ich auch wieder eine Dame, die irgendjemandem in der Welt wahrscheinlich mitgeteilt hat, dass sie gerade beim Arzt ist und warten muss. Dabei hatte sie den Tastenton nicht abgeschaltet und ein Profi hätte wahrscheinlich anhand der Piepstöne erkennen können, was sie getippt hat.
Ich finde das einfach nur nervig, wenn die Leute ständig in ihrem Apparat rumtippen oder irgendwas noch schnell lesen müssen. Bei einem Bekannten von mir, ist mir auch aufgefallen, dass er nicht mal in Ruhe essen kann ohne dabei sein Handy in der einen Hand und das Essen in der anderen Hand zu haben.
Ich warte auf den Tag, wenn er das Handy plötzlich in den Mund steckt….
>> Ich beobachte unterwegs immer wieder Leute, die wirklich ständig mit ihrem Handy interagieren.
Mit dem Bus zur / von der Arbeit …
Echt lustig. 🙂 🙂 WAS machen die da bloß??
Letztens beim Landgericht (Zugangskontrolle):
-Handy?
* Ja.
– Darf ich mal sehen?
* älteres Siemens AX75 rausgekramt …
– Oh! Das hat ja keine Kamera! – Könn’se mitnehmen.
Aus gutem Grund noch ’nen alten Telefonier-‚Ziegel‘ (Nokia 5130) im Einsatz:
seehr viel besserer Klang/Verständlichkeit und um zwei Ziffern kürzere Nummer …
greets
Speedy